Als Ernährungswissenschaftlerin wusste Tanja Ziemen-Willms (33) aus München um die Vorteile der Muttermilch – und hält dem “Still-Diktat” entgegen, dass es manchmal einfach nicht funktioniert, auch wenn man noch so sehr will. Ein Erfahrungsbericht.
“Nach einer Schwangerschaft voller Komplikationen und wochenlangen Krankenhausaufenthalten wurde Jakob am 21. November 2014 aufgrund einer schweren Schwangerschaftsvergiftung sieben Wochen zu früh auf die Welt geholt. Er wog stolze 2150 Gramm und war 46 cm groß. Im Grunde ging es ihm super, er musste nur noch wachsen.
Nachdem sein Gewicht innerhalb von 48 Stunden auf 1800 Gramm sank, war mein Wunsch besonders groß, ihm Kraft und Abwehrstoffe durch die Muttermilch zu geben. Ich begann, die Milch abzupumpen, musste jedoch schnell feststellen, dass es mit starken Schmerzen einherging. Trotzdem quälte ich mich eine Woche lang mit Abpumpen im Zweistundentakt.
Ärzte rieten mir vom Stillen ab – und behielten Recht
Die Ärzte der Gynäkologie waren schnell der Meinung, dass ich lieber mittels Tabletten abstillen sollte. Doch der Wunsch Jakob irgendwann anlegen und stillen zu können, war groß. Eine Stillberaterin, die mich mehrmals besuchte, versuchte alles, um mir die Schmerzen zu nehmen und die Milch abpumpen zu können: kühle Umschläge gegen die Schmerzen, Quarkumschläge, Globuli, Ausstreichen der Brust … Es tat sich jedoch nichts. Der Milchstau ließ es nicht zu, dass Jakob davon einen Nutzen tragen konnte.
Zusammen mit fachkundigen Betreuern konnte ich schließlich den Entschluss fassen abzustillen. Es war wie ein Befreiungsschlag, weil ich mich nicht mehr quälen musste. Zeitgleich ist es jedoch auch ein ‘kapitulieren’ gewesen. Und im Hinterkopf war immer die Frage ‘Habe ich zu früh aufgegeben?!’.
Jakob bekam die ‘Frühchennahrung’ auf der Intensivstation. Er nahm schnell zu. Ich konnte nun ganz für ihn da sein. Ich konnte bei ihm sein, ohne diese quälenden Schmerzen zu haben.
Nach etwas mehr als zwei Wochen durfte Jakob mit 2300 Gramm nach Hause. Anfangs bekam er weiterhin die Frühchennahrung. Doch als er die 3000-Gramm-Marke geschafft hatte, mussten wir uns durch das reichhaltige Sortiment probieren. Pre-Nahrung, HA, 1-er Nahrung … Ich muss schon sagen, dass Jakob unter der Nahrungsumstellung litt. Verstopfungen, grenzenloser Hunger … Er war nicht immer zufrieden.
Eine Sehnsucht nach dem Stillen blieb
Nach etwa vier Wochen dann hatte sich alles eingespielt und Jakob vertrug seine Milch gut. Es stellte sich schnell heraus, dass es auch Vorteile mit sich bringt, dem Baby die Flasche zu geben. So konnte und kann auch jemand anderes – der Papa, die Großeltern – das Füttern übernehmen.
Die eher nebensächlichen Nachteile, die ich sehe: Milchpulver ist nicht immer verfügbar – es wird leider aufgrund der hochwertigen Qualität hierzulande von Asiaten aufgekauft, und das sorgt manchmal für Stress; es ist kostspielig (Milchflaschen, Pulver, neue Sauger, Vaporisator); man ist nicht spontan (ohne ausreichend Milchflaschen, abgekochtes Wasser und genügend Milchpulver kann man nirgendwo hin).
Der für mich wichtigere Nachteil: Ich hätte einfach gerne gestillt. Aber wir haben es uns beim Geben des Fläschchens immer mit dem Stillkissen auf dem Sofa gemütlich gemacht und liebevoll gekuschelt.
Gesellschaft setzt Mütter unter Druck
Leider wird man als Mutter, die nicht stillt, gerne beäugt. Eine ‘gute’ Mutter stillt. Punkt. Genau wie eine gute Mutter nie wieder arbeiten geht. Nun ja, wenn man die Flasche gibt, dann gibt die Gesellschaft einem das Gefühl man ‘wollte’ nicht stillen. Dass es eventuell nicht geht, das ist für die ‘Stillfanatiker’ keine Option.
Jakob ist jetzt zehn Monate alt und ein glückliches, gesundes Kind. Er liebt seine Flasche nach wie vor :-).”
Liebe Tanja,
Vielen Dank für deinen ehrlichen Bericht. Ich habe schon von vielen Müttern gehört, dass es mit dem Stillen nicht immer so einfach ist wie man denkt. Für mich klingt es als hättest du dein möglichstes gegeben. Wenn einem Der Arzt und der Gynäkologe dazu raten, sollte man das schon ernst nehmen.
Weiter so!!! Ich bin total gerührt von deiner Geschichte, Tanja. Unglaublich aber leider wahr, dass man immer noch so behandelt wird als Mutter. Ich teile dein Leid, danke, dass du so offen darüber sprichst.