Geht es ums Stillen, werde auf Familien alarmierender Druck ausgeübt, findet Katja König, seit 25 Jahren Hebamme in Wiesbaden, und findet dabei deutliche Worte. Die Debatte führt aus ihrer Sicht in eine Richtung, die weder für die Mutter noch für das Kind gut ist.

Landauf landab werden die Vorzüge des Stillens gepriesen. Und fürwahr, dem ist auch so: Muttermilch enthält eine Vielzahl an Substanzen, die die Entwicklung des Kindes fördern und größtenteils nicht reproduzierbar sind. Auch das Immunsystem des Kindes wird gefördert.
Dennoch verwundert es, wie einseitig das Thema angegangen wird. Ein Beispiel: Stetig und beständig wird darauf hingewiesen, dass Schadstoffe in gekaufter Säuglingsnahrung nie auszuschließen und auch tatsächlich immer wieder nachgewiesen worden seien. Wer aber nennt beim Namen, dass auch Muttermilch Schadstoffe enthält? Die letzte Meldung aus dem Frühjahr 2015 bezog sich auf den Unkrautvernichter Glysophat, der in Muttermilch nachgewiesen werden konnte.

Eines der Hauptargumente pro Stillen wackelt

Die wenigsten Mütter hinterfragen eines der Hauptargumente fürs Stillen, weil es ihnen präsentiert wird wie eine Tatsache: der Allergieschutz. Neben den zahlreichen Studien, die diese nahelegen, gibt es jedoch auch Hinweise, die Zweifel aufkommen lassen.
Schützt Stillen doch nicht vor Allergien?
1.  MONTREAL (ikr). Stillen schützt Kinder entgegen der bisherigen Annahme offenbar nicht vor Allergien und Asthma. Das hat eine kanadische Studie ergeben.
Eine Arbeitsgruppe um Dr. Michael S. Kramer aus Montreal hat die Kinder von mehr als 17.000 Müttern im Alter von im Mittel sechs Jahren untersucht (BMJ Online). Der Hälfte der Mütter wurde zu Studienbeginn dringend empfohlen, ihr Kind möglichst lange und ausschließlich zu stillen.
Die andere Hälfte erhielt als Kontrollgruppe die übliche Beratung. Das führte dazu, dass in der Gruppe mit intensiver Beratung wesentlich mehr Frauen stillten: 44 Prozent von ihnen stillten in den ersten drei Monaten voll, aber nur sechs Prozent aus der Kontrollgruppe. Allerdings hatten die gestillten Kinder nicht weniger allergische Symptome und nicht seltener positive Prick-Testergebnisse als die Kinder der Kontrollgruppe.
Ärzte Zeitung, 21.09.2007
Sechs Monate Stillen erhöht Risiko für Nuss-Allergie
Bei Kindern, die in den ersten sechs Monaten nur gestillt wurden, ist laut einer australischen Studie das Risiko für eine Nuss-Allergie eineinhalb Mal höher als bei Kindern, die schon früher andere Nahrung und Flüssigkeiten erhielten. Schon bisher hätten zahlreiche Studien auf diesen Zusammenhang hingewiesen, so Studienleiter Marjan Kljakovic.
Österreichische Ärztezeitung 15/16 (15.08.2012)
neu & aktuell: Medizinische Kurzmeldungen (15.08.2012)
APA/International Journal of Pediatrics

Entscheidend beim Stillen ist das “Wie”

Die Fachwelt geht fast einheitlich davon aus, dass die Vorteile des Stillens gegenüber den Nachteilen überwiegen und empfiehlt ausschließliches Stillen über vier Monate (teilweise werden noch sechs Monate benannt, dafür sind die wissenschaftlichen Hinweise sehr dürftig).
Meiner Meinung nach ist das “Wie” des Stillens hier entscheidend: Wenn alles klappt, das Kind gedeiht, die Mutter keine Schmerzen hat, der zeitliche Aufwand mit dem Familienleben zu vereinbaren ist usw., dann ist eine Stillzeit über die ersten Monate durchaus vorteilhaft.
Ist das Stillen jedoch geprägt von Schmerzen, Stress und eventuell sogar mit einem mangelndem Sättigungsgefühl des Kindes verbunden, muss jede Mutter entscheiden, wie viel Leid sie sich und dem Kinde zumuten will. Denn nein, ab einem gewissen Punkt ist Stillen eben nicht mehr das Beste für das Kind.
Die Zuneigung und Fürsorge zu einem Kind drückt sich nicht darin aus, auf jeden Fall durchgehalten zu haben. Vielmehr ist der Respekt vor dem Befinden des Kindes Ausdruck der Annahme und Zuneigung zu dem Kind. Zudem fördert der Respekt vor den eigenen, auch physischen Grenzen einen sensiblen Umgang mit dem Kind.

Eine Debatte, die irritiert

Was mich bei der ganzen Debatte mehr als irritiert, ist der Druck, der auf Familien ausgeübt wird. Der Stillerfolg als Gradmesser der Mütterlichen Kompetenz! Wie baut der Vater in diesem Gedankenkonstrukt die Bindung zum Kind auf? Wem nützt der Stillhype?

 

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