Zu ihrer Entscheidung gegen das Stillen steht Christine W. (31, Versicherungskauffrau) aus München ganz selbstbewusst. Rätselhaft bleiben ihr die Reaktionen anderer Mütter auf ihr Flaschenkind. Ein Erfahrungsbericht.
“Ich gebe zu, dass ich die herrschende ‘Still-Euphorie’ nie recht teilen konnte. Zwar habe ich ausschließlich stillende Mütter in meinem Umfeld, aber damit auch die damit auftretenden Probleme: Brustentzündungen, zu wenig Milch, Schwierigkeiten bei Abstillen und Umstellen aufs Fläschchen. Außerdem habe ich sehr empfindliche Brüste und war auch deswegen skeptisch. Dennoch: Ich wollte es probieren.
Die erste Geburt meines Sohnes Lukas 2011 war nicht so, wie ich es mir erhofft hatte. Er kam fünf Wochen zu früh per Kaiserschnitt und musste sofort auf die Kinderintensivstation. Mir wurde bald darauf die Milchpumpe erklärt. Der Trick, beim Abpumpen ein Foto des Babys anzusehen, um die Milchproduktion anzukurbeln, funktionierte bei mir allerdings überhaupt nicht. Es kam mir alles unwirklich, mechanisch und fremd vor. Lukas trank zu dem Zeitpunkt schon super aus der Flasche.
Wie würden die Ärzte auf mein Abstillen reagieren?
Als die Schwester dann ankündigte, ich könnte ihn beim nächsten Mal anlegen, lief es mir so kalt den Rücken runter, dass es mir vor dem Besuch bei ihm regelrecht graute. Nach einer Nacht mit endlosen Tränen fragte ich mich: Geht’s noch? Ich will nicht zu meinem geliebten Kind, weil es mir vor dem Anlegen und Stillen graut?
Mir wurde klar, denn ich kenne mich ja: Ich musste die Notbremse ziehen, um voll und ganz für Lukas da sein zu können. In einem langen Gespräch mit der Schwester zeigte sie großes Verständnis (sie hatte selbst auch nicht gestillt), ich bekam die Abstilltablette. Mir rollte ein Fels vom Herzen, ich freute mich jetzt einfach nur noch auf mein Kind!
Eines stand mir allerdings noch bevor: Ich musste noch auf der Intensiv bekanntgeben, dass von mir keine Milch kommen wird. Auch hier hatte ich aber großes Glück, der Oberarzt sagte: ‘Der kleine Mann trinkt schon so gut aus der Flasche, und die Flaschennahrung bei uns heutzutage ist so hochwertig, machen Sie sich keine Gedanken.’ Ich kann gar nicht sagen, wie erleichtert ich war.
‘Musst du denn nicht stillen?!’
Diese Erfahrung und eine weitere Schwangerschaft später besprach ich mit meiner Hebamme, dass ich auch beim zweiten Kind nicht stillen wollte. So kündigte ich es im Krankenhaus an, es wurde notiert, ich bekam nach Oskars Geburt im Mai 2015 die Abstilltablette, niemand versuchte mehr, mich umzustimmen.
Seither bin ich überzeugte Flaschenmami – auch wenn ich zugebe, dass mich der Satz ‘Muttermilch ist das Beste für Ihr Kind’ natürlich beschäftigt. Wie meine Hebamme aber sagte: ‘Lieber eine glückliche Flaschenmama als eine unglückliche Stillmama.’ Das Thema Stillen war für mich erledigt.
Nicht so aber für mein Umfeld. In jeder Gruppe, in der ich mit meinen Kindern war, kamen verwunderte Blicke und Fragen, warum ich nicht stille. Kalter Wind wehte mir aber vor allem entgegen, wenn ich in den Wochen nach der Geburt mal abends allein unterwegs war: ‘Musst du denn nicht stillen?! Geht das, dass du dein Kind jetzt schon beim Papa lässt?’ Komisch eigentlich, denn mein Mann und ich haben uns sehr wohl dabei gefühlt. Wir konnten uns dank Fläschchen vor allem nachts die Arbeit teilen, und er konnte so eine sehr feste Bindung zu unseren Söhnen aufbauen.
Noch etwas hat mich immer sehr verwundert an den Reaktionen der Stillmamis: Sie schwärmen, wie unkompliziert Stillen ist, man hat immer alles dabei, in der richtigen Temperatur, man muss nachts gar nicht aufstehen, sondern dockt einfach an. Fazit: Mit einer Flaschenmami muss man eigentlich Mitleid haben. Doch quasi im gleichen Atemzug: Du hast es gut, das ist ja alles so unkompliziert mit der Flasche. Du ‘versklavst’ dich nicht, kannst das Kind auch einfach mal abgeben. Fazit: Beneidenswert, dass du nicht stillst.
Mir ist bis jetzt nicht klar, ob mich Stillmamis nun bemitleiden oder beneiden. Und warum überhaupt, es ist doch jedermanns freie Entscheidung zu stillen? Bei stillenden Müttern hat man allerdings oft das Gefühl, als hätte sie jemand dazu gezwungen.
Schlechtere Bindung? Von wegen!
Wobei ich die praktischen Nachteile auch gar nicht wegreden will: das ganze Zeug, das man immer mit sich rumschleppt; der Aufwand rund ums Sterilisieren der Fläschchen; die hohen Kosten. Ich will gar nicht wissen, wie viel gute, teure Flaschenmilch ich weggeschüttet habe, weil sie nicht getrunken wurde.
Einspruch erheben muss ich aber gegen die Theorie der angeblich schlechteren Bindung: Ich als Flaschenmami habe genau dieselbe Bindung wie eine Stillmami. Ich nehme mir genauso viel Zeit fürs Füttern und halte Blickkontakt etc. wie beim Stillen. Ganz zu schweigen von der Bindung, die Vater und Kind beim Fläschchengeben aufbauen.
Und Hand aufs Herz: Wenn man dem Stillen gegenüber eigentlich negativ eingestellt ist, stört das die Bindung doch vermutlich eher. Diese kleinen zarten Wesen in unseren Armen bekommen doch viel mehr mit von unseren Gefühlen als wir denken.”